Münchner
Merkur, 18.11.02
Nur Teil des Ganzen: Die neuen Kreativen im Westend
Bei "westendstudios 02" betreiben 20 Ateliers Nachbarschaftshilfe
von Arne Franke
Westend Einst präsentierte der Kioskbesitzer seine Kaugummis,
Zeitungen und Cola-Dosen in einem Schaufenster an der Parkstraße.
Jetzt hängt hier ein prachtvoller Lüster unter dem
Wolfgang Gebhard in braunem Cordsakko und dunkellila Hemd steht
und sagt: Wir wollen das Westend nicht als neues Künstlerviertel
hochreden. Aber dennoch: Als er sich vor mehr als zwei Jahren mit
seinem Studio im Ex-Schaufenster niederließ, war er einer
der ersten Gestalter, die ins Westend kamen. Jetzt sind es rund
zwanzig junge Architekten, Gestalter oder Künstler, die hier
arbeiten. Sie schießen wie Pilze aus dem Boden, wie es Gebhard
beschreibt.
Und all die präsentieren sich am Wochenende den Münchnern:
Bei westendstudios 02 können
die Leute schauen, fragen - und bekommen Antworten. Sie schlendern
beispielsweise an Gebhards Büro-Schaufestern entlang, sehen
den visuellen Gestalter unter dem Lüster und schauen sich seine
Arbeiten an.
Derweil geht das normale Westend-Leben weiter. Ein paar hundert
Meter entfernt sammeln sich die Mitglieder eines türkischen
Vereines unter ihrem Atatürk-Foto. Kleine Geschäfte knipsen
die Beleuchtung aus, im Waschsalon drehen sich auch spät abends
noch die Trommeln. Keiner der Kreativen will den Bewohnern ihren
Lebensraum wegnehmen und ein Elite-Viertel installieren. Nein, sie
wollen einfach nur Teil eines Ganzen sein, welches das Westend zu
einem besonderen Stadtviertel macht. Und um das zu beweisen, haben
sie alle eingeladen.
In den Regalen des Architekturbüros Breining
+ Geuther stapeln sich die kleinen Gebäudemodelle. Besucherin
Alexandra Greiner achtet aber überhaupt nicht darauf. Sie bastelt
mit Baukastenmodulen beim Indoor Gardening und schafft sich so ihren
Traumgarten. Zumindest in Kleinformat. Mit ihrer Poollandschaft
ist sie völlig zufrieden und Begleiter Michael Hannwacker schaut
ihr anerkennend über die Schultern. Hausherr Peter Breining
macht gleich mal ein Foto, um die Kreativität festzuhalten.
Denn vielleicht hilft es dem Architekten einmal weiter.
Auch bei Claire Angelini
im Hinterhof der Gollierstraße 32 laufen die Leute durchs
Arbeitszimmer. Das Ofenrohr schlängelt sich durch den Raum,
ein Stockwerk unter ihr ist Architekt Markus
J. Mayer in der Kreativ-WG aktiv. Die Künstlerin zündet
sich einen Zigarillo an, den sie formvollendet mit angewinkeltem
Arm auf Kopfhöhe hält. Das Westend erinnert Angelini an
Berlin. Kein konsumlastiges Pflaster nerve sie, vielmehr sei es
eher etwas roh hier und deshalb hervorragend hier für die Seele.
Und natürlich die Mieten: In diesem Teil der Innenstadt sind
sie noch erträglich.
Deshalb sind so viele Kreative hergezogen. Eigentlich völlig
unabhänging voneinander, ohne Mundpropaganda siedelten sie
sich an. Irgendwann sahen sie beim Stehitaliener immer die gleichen
Gesichter und stellten fest, wie viele tatsächlich wirken.
Es könnten noch mehr werden. Wenn alles so kreativ und künstlerisch
bleibt. Denn nebenan ist schon eine Unternehmensberatung eingezogen.
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